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Schielen

In Deutschland ist Schielen eine der häufigsten Augenerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Etwa 4 % der 0-17 jährigen sind von dieser Erkrankung betroffen.

Was versteht man unter Schielen?

Unser Sehvermögen ist ein komplexes Zusammenspiel aus mehreren Vorgängen. Normalerweise erzeugt jedes Auge ein eigenes Bild, welches mit dem des anderen Auges überlagert, aber nicht zu 100 % übereinstimmt. Das Gehirn fügt beide Bilder zu einem dreidimensionalen Seheindruck zusammen. Dieser fein abgestimmte Prozess kann nur funktionieren, wenn beide Augen parallel stehen und damit in dieselbe Richtung blicken.1

Beim Schielen, in der Fachsprache auch Strabismus genannt, ist dieser Vorgang durch die Fehlstellung eines oder beider Augen beeinträchtigt.2 Die beiden Bilder weichen so stark voneinander ab, dass sie vom Gehirn nicht mehr deckend zusammengefügt werden können.3 Als Folge kann es zu einer Beeinträchtigung der Sehleistung kommen, bei der Doppelbilder auftreten können (Diplopie) oder das Gehirn Sehinformation eines Auges unterdrückt (Amblyopie).1,3

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Wie kommt es zum Schielen?

Schielen kann eigenständig, ohne eine weitere zugrundeliegende Krankheit (primär) oder als Begleiterscheinung einer anderen Augenerkrankung (sekundär) auftreten.1 Die möglichen Ursachen sind vielfältig und können nicht immer eindeutig identifiziert werden. Zu den häufigsten Ursachen gehören:1,3,5–7

  • Gestörtes Gleichgewicht der Augenmuskulatur
  • Genetische Faktoren
  • Angeborene Sehschwächen oder Augenerkrankungen
  • Linsentrübungen
  • Erkrankungen der Augenmuskulatur
  • Verletzungen des Auges
  • Verletzungen oder Erkrankungen des Gehirns


    Welche Formen von Schielen gibt es?

    Grundsätzlich kann Schielen in latentes Schielen, Begleitschielen und Lähmungsschielen unterteilt werden6. Als Mikroschielen bezeichnet man Schielen mit einem sehr kleinen Schielwinkel.1,3

    Latentes Schielen (Heterophorie) ist die häufigste Form (bei etwa 70 % der Normalbevölkerung), bei der die Augenmuskeln nicht im Gleichgewicht zueinanderstehen. Dies kann das Gehirn normalerweise gut ausgleichen. Das Schielen äußert sich nur bei z.B. Übermüdung, Erschöpfung oder Alkoholgenuss. In der Regel bestehen keine Beschwerden.1

    Von einem Begleitschielen (Strabismus concomitans) spricht man, wenn eine permanente Augenfehlstellung vorliegt, die nur ein oder auch beide Augen betreffen kann.8 Die Abweichung der Blickstellung des schielenden Auges kann in alle Richtungen erfolgen:1,3

    • Beim Einwärtsschielen (Strabismus convergens) nach innen,
    • Beim Auswärtsschielen (Strabismus divergens) nach außen,
    • Beim Höhenschielen (Strabismus verticalis) nach oben oder unten,
    • Beim Verrollungsschielen (Strabismus rotatorius) rollt das Auge um die Sehachse.

    1.) Einwärtsschielen; 2.) Auswärtsschielen; 3.) Höhenschielen (oben); 4.) Höhenschielen (unten)

    Während der Grad der Abweichung des Auges beim Begleitschielen immer konstant ist, ist die Abweichung beim Lähmungsschielen (Strabismus paralyticus) je nach Blickrichtung unterschiedlich stark ausgeprägt, zum Beispiel kann sie beim Blick nach links stärker ausgeprägt sein als beim Blick nach rechts. Das Lähmungsschielen beruht auf einer Lähmung der Augenmuskulatur.1,6 Typisch ist die Wahrnehmung von Doppelbildern oder Kopfschiefhaltung.1

    Was bedeutet Schielen bei Neugeboren und Kleinkindern?

    In den ersten Lebenswochen kann ein Neugeborenes die Bewegungen seiner Augen noch nicht vollständig koordinieren. Unkoordinierte Augenbewegungen und damit einhergehendes, zeitweises Schielen können in dieser Phase als Teil der normalen Entwicklung auftreten. Im Laufe der Entwicklung lernen Kinder ihre Augenbewegungen zu kontrollieren und ein Schielen sollte nicht mehr auftreten.9,10 Ärztlich abgeklärt werden sollte ein konstant auftretendes Schielen.

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    Wie äußert sich Schielen?

    Bei manchen Betroffenen ist die Fehlstellung der Augen deutlich zu erkennen, bei anderen hingegen ist sie nur sehr schwach ausgeprägt. Neben der sichtbaren Fehlstellung der Augen können weitere Symptome auftreten:1,3,6,7,11,12

    • Wahrnehmung von Doppelbildern
    • Störung des räumlichen Sehens
    • Kopffehlhaltung
    • Augenzittern
    • Kopfneigung
    • Sehschwäche
    • Kopfschmerzen
    • Konzentrationsstörungen

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    Wie wird Schielen festgestellt?

    Bei Kindern wie Erwachsenen sollte jedes Schielen, welches über die ersten Lebenswochen hinaus auftritt, ärztlich abgeklärt werden. Der Augenarzt kann durch ein breites Spektrum von Untersuchungsmethoden eine Augenfehlstellung diagnostizieren.1,6,12,13

    • Augenbeweglichkeit (Motilität): Die Stellung und die Beweglichkeit der Augen wird überprüft.
    • Abdecktest (Covertest): Durch einseitige oder wechselseitige Abdeckung der Augen können die Augenbewegungen untersucht werden.
    • Hornhautreflexbilder: Mit Hilfe einer Lichtquelle kann die Lage der Lichtreflexe auf der Hornhaut bestimmt werden, die beim gesunden Auge seitengleich ist.
    • Messung der Sehschärfe: Eine Messung der Sehschärfe ist ab dem 2. Lebensjahr möglich.
    • Prüfung der Fixation: Durch einen Augenspiegel (Ophthalmoskop) wird die Fähigkeit der gezielten Betrachtung eines Gegenstandes untersucht: Ab etwa dem 3. Lebensmonat sollten Kinder fixieren können.
    • Untersuchung der Linse: Die Funktion und Beschaffenheit der Linse werden getestet.
    • Prüfung des Zusammenspiels beider Augen und des Gehirns: Die Wahrnehmung von Doppelbildern und die Fähigkeit zum dreidimensionalen Sehen (ab dem 3. Lebensjahr) können durch verschiedene Tests untersucht werden.

    Wie kann Schielen behandelt werden?

    Die Therapie des Schielens richtet sich nach seiner Form und Ursache. Das latente Schielen bedarf, solange keine Beschwerden auftreten, meist keiner besonderen Behandlung, wohingegen bei anhaltendem (manifestem) Schielen eine frühzeitige augenärztliche Untersuchung und Behandlung Folgeerscheinungen wie Sehschwächen verhindern kann1. Folgende Therapieoptionen stehen zur Verfügung:

    • Brille: Durch die Verordnung einer Brille kann eine Sehschwäche ausgeglichen werden.1,13
    • Okklusion: Das Abkleben des gesunden Auges kann das schielende Auge trainieren.1,13
    • Operation: Bei bestimmten Schielformen kann eine Operation notwendig sein. Eine mögliche Folgeerscheinung nach Operationen ist ein trockenes Auge.1,13,14
    • Fusionsschulung: Übungen zur Zusammenführung von Doppelbildern werden nur in Einzelfällen empfohlen.1

    Literatur

    1. Grehn F. Augenheilkunde. Springer Berlin Heidelberg 2019.

    2. Leydhecker W, Grehn F. Augenheilkunde. Springer Berlin Heidelberg 2013.

    3. Lang GK. Augenheilkunde. Thieme 2014.

    4. Schuster AK, Elflein HM, Pokora R, Urschitz MS. Kindlicher Strabismus in Deutschland: Prävalenz und Risikogruppen. Ergebnisse der KiGGS-Studie 2017.

    5. Gräf M, Lorenz B. Strabismus. Monatsschr Kinderheilkd 2015; 163: 230-240.

    6. Weber P, John R, Konrad K, Livonius B v., Ruple B, Schroeder A, Stock-Mühlnickel S, Karch D. S2k Leitlinie. Visuelle Wahrnehmungsstoerungen 2017.

    7. Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA), Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG). Leitlinien von BVA und DOG. Leitlinie Nr. 26 b, Nichtparetisches Schielen. http://augeninfo.de/leit/leit26b.htm, Zugriff: 30.03.2020.

    8. Walter P, Plange N. Basiswissen Augenheilkunde. Springer Berlin Heidelberg 2016.

    9. Baumann T, Adam O. Atlas der Entwicklungsdiagnostik. Vorsorgeuntersuchungen von U1 bis U10/J1 ; 52 Tabellen. 2., völlig überarb. und erw. Aufl. Thieme, Stuttgart 2007.

    10. Flehmig I (Hrsg. 2007). Normale Entwicklung des Säuglings und ihre Abweichungen. 7. unveränderte Auflage Thieme, s.l., 2007.

    11. Oestreicher E. HNO, Augenheilkunde, Dermatologie und Urologie für Pflegeberufe. Thieme 2003.

    12. Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA), Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG). Schielen und Amblyopie 2017.

    13. Goebeler M, Walter P, Westhofen M. Augenheilkunde, Dermatologie, HNO in 5 Tagen. Springer Berlin Heidelberg 2018.

    14. Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V., Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft e.V. Leitlinie Nr. 14a Uveitis anterior 2010.